Kommunikation
Trans-Communication oder die interkulturelle Kommunikation beginnt im eigenen Hirn.
Im Lift ist alles anders
Sie stehen im Lift. Er ist voll. Wohin mit den Händen. Schlimmer noch, wohin mit dem Blick? Alle starren krampfhaft auf die aufleuchtenden Zahlen. Ich fixiere meinen Blick auf die roten Schuhe der Frau mir gegenüber. 3. Stock, 4. Stock, 5. Stock – eine Ewigkeit. Niemand getraut sich, in die Augen einer anderen Person zu schauen. Endlich! Der Lift hält im 7. Stock. „Uf wiederseh“ (war das ein Zürcher-Akzent?) oder „auf Wiedersehen“ (das muss ein Deutscher gewesen sein – im Aargau stellt sich da gleich die Frage: Was ist schlimmer? Was so ein Akzent alles ausmachen kann!) oder ein Kneifen mit den Lippen und schon ist man draussen… Es scheint, dass im Lift alle gleich sind. Wer schaut schon in die Augen einer anderen Person! Wäre dies nicht schon unhöflich, es könnte ja ein beleidigendes Herabblicken sein oder ein höhnisches Auslachen oder ist der Blick gar ein plumpes Anmachen?
Am Anfang war die Kommunikation
Die Kommunikation ist das wichtigste Instrument der Menschen und auch der Beginn eines jeden Erfolgs. Wir alle betreiben täglich „Kommunikation“, wäre dies nicht der Fall, würde man dies bei uns als Depression diagnostizieren – in einer anderen Kultur könnte die Diagnose anders lauten: „in der Person wohnt ein höheres Wesen“ oder „die Person ist von einem Dämon besessen“. (Vor nicht allzu langer Zeit wurden die bösen Geister auch in Europa auf interessante Weise vertrieben – manchmal kam es sogar so weit, dass dabei die „Patientin“ verbrannt wurde.) Selbst das Nicht-Kommunizieren, das Verstummen, kommuniziert der Aussenwelt, dass irgendetwas nicht mehr stimmt. Wir kommunizieren vom ersten Schrei in der Wiege bis zum letzen Seufzer auf dem Sterbebett. Der Beginn und das Ende – der Schrei und das Seufzen – ist interkulturell, beides gilt wohl für alle Menschen. Doch was zwischen den beiden Eckdaten eines jeden Lebens liegt, wird durch eine Vielfalt von äusseren Einflüssen bestimmt.
Der Sprach-Code
Voraussetzung für die Kommunikation ist der Sprach-Code, der für eine Gruppe hinreichend der gleiche sein sollte. Der Code ermöglicht dem Sprecher und Hörer dasselbe unter einem bestimmten Ausdruck zu verstehen. Dazu ein Beispiel aus einem Spital:
Patient liegt im Bett. Name und Aussehen lassen erkennen, dass er nicht gerade aus dem Emmental stammen kann. Es ist Zeit für die Arztvisite. Plötzlich geht die Türe auf und der Oberarzt, weitere drei Ärzte, eine Ärztin, die Oberschwester und weitere Personen in Weiss treten ins Zimmer. Der Patient legt die Zeitung weg und beobachtet, wie die ganze Gruppe von einem Bett zum anderen geht. Jedes Mal fragt der Oberarzt, wie es dem Patienten geht. Dann ist die Reihe an ihm. Mit einem netten Lächeln fragt der Oberarzt: „Wo Sie Schmerz?“ Dabei zeigt er mit seiner Hand auf den frisch operierten Fuss. „Sie Schmerz?“ wiederholt er, als er plötzlich die Neue Zürcher Zeitung neben dem Patienten entdeckt. Fast erschrocken meint er: „Ach, Sie lesen die NZZ? Ich habe die gleiche Ausgabe!“ Daraufhin der Patient sichtlich gelangweilt: „Kann ich mir schon vorstellen, ist schliesslich die heutige Ausgabe“. Danach sprechen Arzt und Patient ganz normal ohne „Wo Sie Schmerz“ weiter.
Lehnen wir uns Mal bequem im Sessel zurück und fragen uns: „Was ist hier geschehen?“
Scheinbar beginnt die Kommunikation bereits mit dem Aussehen. Was sich der Oberarzt wohl überlegt hat, war: 1. Aussehen ausländisch; 2. Aussehen sehr ausländisch, d.h. nicht europäisch; 3. Wenn Nicht-Europäer, dann vermutlich Asylbwerber oder Gastarbeiter; 4. Asylbewerber spricht kaum Deutsch; 5. Ergo: rudimentärer Sprachgebrauch, damit überhaupt eine Verständigung möglich ist.
Als schliesslich der Faux-pas bemerkt wird, ist die Kommunikationssituation schon so weit fortgeschritten, dass es kein Zurück mehr gibt und nur noch die rettende Ausrede mit „Ach, Sie lesen die NZZ? Ich habe die gleiche Ausgabe!“ einfällt. Was hat also die Hautfarbe oder der scheinbar nicht aussprechbare Name, mit der Sprachbeherrschung des „Schwiizerdütschen“ zu tun?
Interessant an dieser Geschichte sind auch die Personen. Es ist der Oberarzt, es hätte ja auch eine Oberärztin sein können; es ist die Oberschwester, es hätte auch ein Oberpfleger sein können – oder entspricht dies nicht unseren gängigen Vorstellungen. An meinem Seminar im Kantonsspital Aarau, als es um Frauenrollen im islamischen Kontext ging, meinte eine Ärztin, dass man gar nicht weit suchen müsse, um Vorurteile zu finden. Oft, wenn sie mit ihrem Kollegen auf Visite sei, würde man sie konsequent als „Schwester“ ansprechen und ihn als „Herr Doktor“.
Der Blickkontakt
Kehren wir zurück zur Lift-Episode. Der Blickkontakt spielt eine wichtige Rolle – aber in den verschiedenen Kulturen eben eine andere. Weshalb schaut man sich im Lift nicht in die Augen? Sind es irgendwelche Schamgefühle, ist man plötzlich viel zu nahe beieinander? In islamischen Kulturen ist es nicht schicklich, wenn Mann einer Frau direkt in die Augen schaut – vor allem umso mehr, wenn es sich um eine mir nicht bekannte Frau handelt. Daher kann es sein, dass eine Patientin den Blickkontakt mit dem untersuchenden Arzt meidet. Dieses Problem fällt weg, wenn es eine Ärztin ist. Anderseits kommt es auch auf die Ausbildung der Person an. Je gebildeter, um so einfacher kann sie (Patientin) die Situation einschätzen und wird das Gespräch mit einem Arzt nicht als ein Problem einstufen. Doch dies ist nicht einmal so sehr islamspezifisch – wie viele Frauen würden eine Ärztin einem Arzt vorziehen und auch umgekehrt. Auch ein Mann hat Schamgefühle und es ist einfacher, wenn ein Pfleger ihn wäscht, als eine Krankenschwester – zumindest ist dies meine Spitalerfahrung.
Der Blickkontakt spielt gerade im Gespräch eine sehr wichtige Rolle. In den USA hat man Untersuchungen bei weissen und Afro-Amerikanern gemacht. Dabei hat sich gezeigt, dass es für einen Weissen ein Affront ist, wenn man ihm bei einem Gespräch nicht direkt in die Augen schaut. Der Afro-Amerikaner hingegen schaut dem Gesprächspartner nie direkt in die Augen, dies widerspricht seinen sozialen Gepflogenheiten. Der Konflikt ist somit vorprogrammiert: Der Weisse sucht den Blickkontakt, der Afro-Amerikaner versucht ihn zu meiden. Der weisse Gesprächspartner interpretiert das Wegschauen als ein Verachten oder Herabschauen. Der andere Partner hingegen fühlt sich durch den „erzwungenen“ Blickkontakt angegriffen.
Im Lift steht man sehr nahe beieinander. Wie nahe darf man zum Gesprächspartner stehen? Wir alle kennen diese Situation, wenn plötzlich einE GesprächspartnerIn so nahe heranstritt, dass es unangenehm wird. Automatisch macht man einen oder zwei Schritte nach hinten, bis die Distanz wieder stimmt. Nun stimmt die Distanz aber für die andere Person nicht mehr und sie versucht dies zu korrigieren, indem sie wieder einen Schritt in meine Richtung macht. Ich erinnere mich, als ich ein Gespräch mit einem Professor im Vorlesungssaal hatte. Das oben aufgezeigte Spiel führte dazu, dass wir am Schluss des Gesprächs fast draussen vor dem Saal standen.
Andere Kulturen – andere Sitten
Man sagt: „Andere Kulturen, andere Sitten“. Der Südländer spricht bekanntlich mit dem ganzen Körper – er benutzt vor allem auch die Hände und Armen beim Sprechen. Wieviel Körperkontakt darf man haben? Heute gilt es als schick, wenn Mann Frau als Begrüssung auf die Wange küsst – dieser Brauch hat durch die verschiedenen TV-Talk-Shows, in denen es zum ersten Mal gemacht wurde, einen grossen Boom ausgelöst. Wenn Frauen sich so begrüssen, ist das akzeptabel. Wie steht es aber, wenn sich Männer auf der Strasse umarmen und gegenseitig auf die Wange küssen? Dieser Brauch gilt im Nahen- und Mittlern Osten. Es ist schon fast Pflicht, dass Mann sich nach dem Festgebet, zB nach dem Fastenmonat Ramadan, in der Moschee umarmt. Da spielt es keine Rolle, ob man weiss, schwarz oder braun ist – jeder wird umarmt. Unter Araber küsst man sich gegenseitig die Wange, dies wird hingegen sehr selten unter indischen oder pakistanischen Muslimen praktiziert. Dass dieser Code falsch verstanden werden kann, erlebte ich aus der Erzählung eines Lehrers von mir, der in Indien in den Ferien war. Dort sah er Männer, die Hand in Hand oder auch mit einem Arm auf der Schulter des anderen auf der Strasse gingen. Seine Interpretation: Es gibt in Indien sehr viele Homosexuelle.
Krankheit und Tod
Wie geht man mit der Krankheit und mit dem Tod in den verschiedenen Kulturen um? Der Heilige Prophet Muhammad (sws) sagte einst, dass es die Pflicht eines Muslims ist, eine kranke Person zu besuchen. Wenn an einem Freitagsgebet – vergleichbar mit dem Sonntagsgottesdient im Christentum – mitgeteilt wird, dass jemand im Spital ist, dann ist klar, was geschieht. Nicht ein oder zwei Personen besuchen den Patienten, sondern es kommen gleich dreissig – ein Horrorszenario für das Pflegepersonal! Wohin mit all den Leuten? Da heisst es, ruhig Blut bewahren (oder sich gleich eine Blutkonserve stecken). Da ist interkulturelle Kommunikation gefragt!
Was im Spital oft unvermeidlich ist, ist der Tod eines Patienten. Für den Muslim – der Islam ist die zweitgrösste Religionsgemeinschaft in der Schweiz – ist der Tod der letzte Bestandteil des Lebens, der nicht verdrängt wird. Auch hier besteht die Verpflichtung, dass man einer sterbenden Person beistehen muss. Der letzte Beistand und eine heilige Pflicht ist die Totenwaschung, das Totengebet und die Beisetzung. Normalerweise wird die Leiche in die Moschee getragen. Dort verabschieden sich die Gläubigen vom Verstorbenen – auch Kinder sind dabei. Nach dem gemeinsamen Totengebet wird die Leiche zum Friedhof getragen und begraben. Das Gesicht der verstorbenen Person schaut in Richtung Mekka, dem Zentrum der islamischen Welt. Man wird im Spital geboren und man stirbt im Spital.
Dr. Yahya Hassan Bajwa